Friede zwischen den Menschen

 

Zum heiligen Franz von Sales kam einmal ein Student und fragte ihn: „Was kann ich tun für den Frieden in der Welt?“ Der Bischof gab ihm zur Antwort: „Schlagen Sie zu Hause die Tür nicht zu laut zu.“

Was wollte der Bischof damit sagen? Wer sich für den Weltfrieden einsetzen will, muss zuerst damit beginnen, zu Hause seinen Beitrag zum Frieden zu leisten.

 

Friede in der eigenen Familie

 

Wilhelm Busch hat eine Gefahr sehr treffend mit den Versen formuliert: „Den Nächsten lieben wär nicht schwer, wenn er nicht gar so nahe wär!“

 

Andern gegenüber nehmen wir uns vor allem im Geschäftsleben viel mehr zusammen und bemühen uns, freundlich zu sein. Im Umgang mit den Allernächsten, daheim in der Familie, lässt man sich viel leichter gehen, ist unbeherrscht. Es fehlt dann leider an der nötigen Geduld miteinander, geschweige denn an Güte und Liebe. Das ist zwar menschlich und verständlich, aber es führt nur zu Streit und Uneinigkeit und zerstört den Frieden im eigenen Haus.

 

Wenn Paulus über die Liebe in den eigenen Reihen spricht, betont er interessanterweise meist zuerst: „Ertragt euch gegenseitig.“ (Kol 3,13) Er weiß aus Erfahrung, dass die Anlagen und Interessen von Jung und Alt in einer Familie sehr verschieden sind und wir niemand nach unserem Geschmack ändern können. Darum ist das Ertragen eine der wichtigsten Voraussetzungen, um in Frieden miteinander zu leben.

 

Weil keiner ohne Fehler ist, fügt Paulus seiner Mahnung zum Ertragen im gleichen Satz hinzu: „Vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat.“ (Kol 3,13)

 

Schlimm wäre es, wenn man nicht einmal zu Hause darauf vertrauen dürfte, dass wenigstens die nächsten Angehörigen immer wieder bereit sind zu verzeihen.

 

Neben diesen beiden Voraussetzungen „Ertragen und Verzeihen“ braucht es natürlich auch das ehrliche Bemühen, positive Haltungen zu pflegen wie Güte, Dankbarkeit, Mitverantwortung, Hilfsbereitschaft, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der man sich wohl und zu Hause fühlen kann.

 

Friede im Umgang mit anderen

 

Wir dürfen uns nicht damit begnügen, nur im Kreis der Familie den Frieden zu verwirklichen, wir müssen auch Friedensstifter sein in der Welt, in der wir leben, sei es im Betrieb, im Büro, im Geschäft, wo immer wir mit anderen zusammenkommen.

 

Wegen der schlimmen Folgen der Voreingenommenheit und der Vorurteile ist es eine höchst sittliche Aufgabe, grundsätzlich allen Menschen gegenüber unvoreingenommen zu sein.

 

Voreingenommenheit und Vorurteil nennt man eine Meinung, die man ohne ausreichende Begründung von anderen angenommen hat. Es handelt sich um gefühlsbetonte Urteile, die im Affekt, im Gemüthaften gründen und dem Verstand nicht zugänglich sind. Meist sind Vorurteile durch Erziehung und Umwelteinflüsse so fest eingewurzelt, dass sie nur schwer zu überwinden sind. Dabei merkt man nicht, wie verzerrt man die Wirklichkeit durch die Brille der Vorurteile sieht. Sie sind eine wahre Geisel der Menschheit. Wir brauchen nur an Rassendiskriminierung und Fremdenhass zu denken.

 

Da Vorurteile nicht vom Verstand abhängig sind, sondern im Affektiven wurzeln, muss auch hier der Umbruch erfolgen durch eine wohlwollende Einstellung zu jedem anderen, auch wenn er uns fremd oder unsympathisch ist.

 

Aus der Voreingenommenheit ergibt sich oft die Haltung der Intoleranz. Wie viel Unheil hat sie schon in der Welt- und Kirchengeschichte angerichtet nach dem Motto: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein.“ Heute denkt man zum Glück anders wie früher. Selbst Heilige urteilten damals über die Kreuzzüge anders als wir. Es kann eine gute Hilfe sein, sich in den andern hineinzudenken und ihn zu verstehen suchen.

 

In einem Altersheim hatte eine Frau einen schwierigen Charakter und war deshalb nicht sehr beliebt. Als sie krank wurde, wollte die Leitung diese Frau nur dann in ein Pflegeheim geben, wenn niemand bereit wäre, ihr das Essen aufs Zimmer zu bringen und sich etwas um sie zu kümmern.

 

Der Nachbarin fiel es zwar nicht leicht, aber sie erklärte sich schließlich doch dazu bereit. Später erzählte sie mir: „Ich habe meine Nachbarin durch diesen Liebesdienst eigentlich erst richtig kennen gelernt. Ich erfuhr, dass diese kranke Frau ein sehr schweres Leben hinter sich hatte und von vielen Enttäuschungen geprägt war. Aber sie hat tapfer ihr Kreuz getragen und den Mut nicht verloren. Dadurch habe ich sie allmählich auch schätzen gelernt. Und siehe da, am Ende habe ich sie sogar lieb gewonnen.“

 

Nicht immer wird es möglich sein, den anderen zu verstehen. Dann hilft der Rat des ehemaligen Bundeskanzlers Adenauer, den er einmal dem jüngeren Fürst Löwenstein gegeben haben soll: „Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, es gibt keine anderen.“

 

Diese Haltung nennt man Toleranz, die man gern als eine moderne Tugend bezeichnet. Wir leben heute in einer pluralistischen Welt, in der uns die verschiedensten Wert- und Weltauffassungen begegnen, die in unserer Gesellschaft gleichberechtigt nebeneinander stehen.

 

Toleranz ist gar nicht so einfach, denn in jedem Menschen steckt der geheime Wunsch, dass auch der andere in bedeutsamen Fragen die gleiche Auffassung hat wie wir. Je stärker die eigene Überzeugung und je bedeutsamer die Sache ist, umso mehr fühlt man sich gedrängt, sich für seine Auffassung einzusetzen.

 

Weil es aber oft schwierig ist, den Andersdenkenden zu überzeugen, kommt es leicht zu Spannungen bis hin zu Unversöhnlichkeit und Gehässigkeit. Richtig ist es: die Wahrheit zu lieben, seiner Überzeugung treu zu bleiben, ohne die personale Würde des Mitmenschen zu verletzen. Es tut der Wahrheit keinen Abbruch, wenn wir auf alle Mittel verzichten, die ihr nicht angemessen sind, wie Lieblosigkeit, Druck und Gewalt.

 

Einer der häufigsten Fehler ist das schnelle, negative Urteil über Mitmenschen. Hier ist das Wort vom „Splitter im Auge des Nächsten und vom Balken im eigenen Auge“ angebracht. Es ist gut, um diese menschliche Schwäche zu wissen. Sie ist nicht harmlos und hat nicht selten schwere Folgen, die wir nicht rückgängig machen können.

 

Wer sich mit allen Kräften müht, im Denken, Reden und Urteilen über andere sehr feinfühlig zu sein, der bringt auch Verständnis auf für ihr Verhalten, das vielleicht begründet ist in ihren Erbanlagen, der Erziehung und der Umwelt, in der sie aufgewachsen sind. Er wird darum zurückhaltend sein und allen trotz ihrer Schwächen mit Wohlwollen begegnen.

 

Als in einem Kreis frommer Leute der Pfarrer heftig kritisiert wurde, schwieg eine Frau. Schließlich fragte sie: „Wer von euch hat schon einmal für unseren Pfarrer gebetet? Auch er ist ein Mensch und braucht vielleicht notwendiger als das Reden über seine Fehler vor allem unser Gebet.“ Damit war Kritik in der Runde plötzlich verstummt.

 

Nicht immer finden wir den Mut, bei so manchem üblen Nachreden Einspruch zu erheben, aber zumindest sollten wir uns zurückhalten, und wir können vielleicht mit Feingefühl durch eine positive Bemerkung dem negativen Gespräch eine Wendung geben, ohne dabei als Moralapostel aufzutreten.

 

Der Friede unter den Menschen wird oft erschwert durch die Art und Weise, wie wir einander begegnen, ob reserviert, mürrisch, unfreundlich, abweisend oder gar feindselig.

 

Bekannt ist ein Wort von Sokrates: „Niemand kann seine Tage mit einem trübsinnigen und unangenehmen Partner zusammenleben.“

 

Darum können wir viel zum Frieden untereinander beitragen, wenn wir uns bemühen, allen gegenüber freundlich zu sein. Wenn die Freundlichkeit auch nicht im christlichen Tugendkatalog aufgeführt wird, so ist sie doch eine Verhaltensweise, die zu einem guten Menschsein gehört.

 

Ein kleines Mädchen hat einmal gebetet: „Lieber Gott, mach, dass alle bösen Menschen fromm werden, die Frommen aber liebenswürdig.“ Bei der Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit geht es nicht um eine bloß äußere Form des Anstandes und der feinen Manieren. Man könnte diese Haltung auch beschreiben als jene „feine Art im Umgang mit anderen, die Wohlwollen und Liebe spürbar und sichtbar macht“.

 

Die vielgepriesene Sachlichkeit und Distanz mag in manchen Fällen berechtigt sein, aber das Verhältnis der Menschen untereinander darf dabei nicht unterkühlt werden. Schon Thomas von Aquin hat sich Gedanken gemacht über die Freundlichkeit und betont: „Wie eine Gemeinschaft nicht Bestand haben kann ohne Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit, so kann der Mensch nicht menschlich in der Gesellschaft leben ohne das spürbare Wohlwollen, das Freude ins Leben bringt.“

 

Friede unter Schwierigkeiten

 

Manchmal stoßen alle Friedensbemühungen an Grenzen, über die man einfach nicht hinwegkommen kann. Ich denke an schwere Verletzungen und erlittenes Unrecht. Dies zu vergessen, ist nicht leicht, ja vielleicht sogar unmöglich. Man muss jedoch gut unterscheiden zwischen dem Gefühl des Schmerzes über das Erlebte und dem Willen, nicht nachzutragen und bereit zu sein zum Verzeihen. Das Gefühl selbst hat nichts mit Schuld zu tun, verantwortlich sind wir erst durch die Entscheidung unseres freien Willens.

 

In einer solchen Situation gilt für uns Christen das Gebot der Feindesliebe.

 

Wernher von Braun, einer der führenden Köpfe der Weltraumfahrt und zugleich überzeugter Christ, sagte einmal: „Dieses Wort: ‚Liebet eure Feinde’ - das war eine absolut revolutionierende Idee, und sie ist vielleicht die Quintessenz des Christentums, gemeint ist der wesentliche Kern des wahren christlichen Glaubens.“

 

Sicher wird hier ein klärendes Wort nötig sein. Es kann nicht darum gehen, dass wir wie ein willfähriges Opferlamm alles mit uns machen lassen. Es gibt auch ein gesundes, für das Selbstwertgefühl unverzichtbares Sichbehaupten und Sichdurchsetzen. Das hat auch Jesus in der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern gezeigt. Es gibt freilich auch den Missbrauch dieser Haltung, die jeden Angriff durch einen Gegenangriff beantwortet und zu einer Eskalation des Bösen führen kann. Was Jesus meint, ist der aktive Versuch, diesen Zirkel des Bösen zu durchbrechen, indem ich einmal nicht zurückschlage, sondern ‑ im Bilde gesprochen ‑ eher die andere Backe hinhalte.

 

Die Absicht dabei ist nicht, dass der andere nochmals zuschlägt, sondern dass ich den Gegner zum Nachdenken bringe und ein klärendes Wort überhaupt erst ermögliche und dass so die feindselige Haltung überwunden werden kann. Dem Bösen widerstehen heißt nicht, aus Schwäche nachgeben, es heißt vielmehr: auf das Durchsetzen des eigenen Rechts zu verzichten, um den Teufelskreis an einem Punkt zu durchbrechen und einen Neubeginn zu ermöglichen.

 

Jesus hat diese Gesinnung der Friedfertigkeit allen gegenüber nicht nur gefordert, er hat sie vorgelebt. Selbst am Kreuz hat er sogar noch für seine Henker gebetet: „Vater, verzeih ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“

 

Aber gerade dadurch hat er den Teufelskreis des Bösen für immer durchbrochen und uns den Weg für eine neue, erlöste Welt geebnet, für ein Reich, in dem das Gesetz der Liebe und des Friedens herrschen soll.

 

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Die Sehnsucht nach Frieden ist heute in der Welt, die vom Terrorismus bedroht ist und in der unter manchen Völkern Uneinigkeit und Feindschaft herrschen, größer denn je. Es genügt nicht, nur um den Frieden zu beten, jeder muss seinen Teil auch dazu beitragen.

 

Am Ende der Eucharistiefeier lautet der Entlassgruß des Priesters: „Gehet hin in Frieden.“ Dies ist sowohl ein Wunsch als auch ein Auftrag. Gedacht ist zunächst an den Frieden als Geschenk Gottes, wie ihn Jesus mehrmals seinen Jüngern zugesprochen hat. Gemeint ist der innere Friede des Herzens, den die Welt nicht geben kann.

 

Es handelt sich aber zugleich auch um den Auftrag, zum Frieden unter den Menschen beizutragen, indem wir die Voraussetzungen schaffen, dass Friede möglich wird.

 

P. Alois Noll CMF