Beten – aber wie?

 

Der Jude Martin Buber berichtet vom ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion, dass er auf die Frage, ob er an Gott glaube, geantwortet habe: „Wenn Gott nur einer wäre, über den man reden kann, würde ich nicht an ihn glauben. Weil er aber jemand ist, mit dem man reden kann, deshalb glaube ich an ihn“.

 

Ihnen als ECHO-Leser mag es gut in den Ohren klingen, wenn ich sage, dass es auch heute noch Menschen gibt, die jeden Tag beten. In den Städten werden mir das nur wenige glauben. In Gesprächen mit jungen Menschen durfte ich erfahren, dass etliche von ihnen, die selten oder fast nie in die Kirche gehen, trotzdem noch beten. Anderseits, das wissen wir alle: viele Menschen haben das Gebet aufgegeben. Es erscheint ihnen wertlos, ja sinnlos.

 

Beten ist ein Glaubensbekenntnis

 

Der moderne Mensch sieht die Welt vielfach nicht als eine Welt Gottes, sondern als die Welt des Menschen an. Es ist für ihn eine Welt, die wir selber gestalten und bauen. Und dazu braucht man keinen Gott; warum sollte man dann zu ihm beten? Mit einem überflüssigen Gott gibt es nichts zu besprechen.

 

Gebet, Gott, Glaube haben viel miteinander zu tun. Wo ein Mensch an einen Gott glaubt, da wird er auch immer wieder das Bedürfnis haben, mit diesem Gott in Austausch, ins Gespräch zu kommen. Wo für einen Menschen Gott aber gestorben ist, da hat auch schon lange vorher Gespräch mit ihm, das Gebet, aufgehört.

 

Wenn ein Mensch betet, dann ist die Tatsache, dass er betet, in sich schon ein Glaubensbekenntnis. Wer betet, bekennt damit: Gott, es gibt dich wirklich, auch wenn ich dich nicht sehe, auch wenn mein Verstand sich dagegen wehrt und mein Mund nicht weiß, was er dir sagen soll.

 

Beten in der Hetze des Alltags

 

Wir glauben an Gott, wir möchten beten. Wir möchten das Gespräch mit Gott, aber wie? Wir alle machen die Erfahrung, dass dies im Alltag gar nicht so leicht ist. An manchen Tagen haben wir gar nicht oder kaum Zeit zum Beten. Wenn wir dann versuchen, trotzdem zu beten, dann kommen wir uns innerlich oft so leer und trocken vor, und unsere Gedanken schweifen beim Beten ab.

 

Trotzdem sollten wir das Beten nicht aufgeben. Wir sollten uns bewusst machen, dass Beten zu allererst in der Hinwendung des Menschen zu Gott besteht. Es zählt die Absicht, sich ihm zuzuwenden, mit ihm etwas Zeit verbringen zu wollen.

 

Ich darf Ihnen sagen, dass es für mich wertvoll ist, wenn ich mich bisweilen von dem Trubel und der Hetze des Alltags zurückziehe und mal kurz hinsetze, in meinem Zimmer, vielleicht vor eine Kerze oder still in der Ecke einer Kapelle oder Kirche, wo ich mich mal einen Augenblick bei Gott ausruhen kann, bei ihm sein kann. Die Betriebsamkeit und alles, was einen bedrückt, fällt dann von einem ab. Man darf sich bei ihm und in seiner Liebe geborgen wissen, ohne irgend etwas reden zu müssen. Auch das ist Gebet!

 

Zerstreuung als Chance

 

Wir sagen: Gebet sei Sprechen mit Gott, und wir verstehen darunter, dass wir Gott Worte des Lobes, des Dankes und der Bitte sagen. Dabei machen wir die Erfahrung, dass unsere Gedanken beim Beten sehr schnell abschweifen. Wir erleben oft, dass unsere Gedanken ganz woanders sind, wenn wir Gott fromme Worte sagen. Seien Sie darüber nicht bekümmert. Es kommt bei Ihrem Zusammensein mit Gott an erster Stelle nicht auf den Inhalt der Worte an, sondern auf das, was Sie im Herzen empfinden.

 

Vielleicht ertappen Sie sich bei irgendwelchen Gedanken, denken an irgendwelche Menschen oder irgendwelche Ereignisse. Schieben Sie die nicht ganz einfach zur Seite, denn die spielen ja irgendwie eine Rolle in Ihrem Leben. Bringen Sie diese Gedanken ins Gebet mit ein. Sprechen Sie kurz mit Gott über diesen Menschen, über die Angelegenheit, die Sie beschäftigt. So werden Ihr Leben und die Dinge, die in Ihrem Leben wichtig sind, in Ihr Gespräch mit Gott hineingenommen und kommen so vor Gott zur Sprache. So hat die Kleine heilige Theresia einmal zu einer Bekannten gesagt: „Sie glauben gar nicht, für wie viele Menschen meine Zerstreuungen im Gebet zum Segen werden.“

 

Beten heißt auch Zuhören

 

Wir sagen: „Gebet ist Sprechen mit Gott.“ Zu einem Gespräch gehört es, dass nicht nur einer redet, sondern dass zwei miteinander reden und dass beide dabei zu Wort kommen.

 

Wir sollten deshalb beim Beten nicht dauernd auf Gott einreden und Gebete zu ihm sprechen. Wir sollten auch öfters beim Beten still werden, nichts sagen, versuchen ihm zuzuhören. Das ist ein wichtiger Bestandteil unseres Betens und unseres Zusammenseins mit Gott. Ich habe mir schon manchmal gedacht, wenn wir so im Gebet vor Gott sind und ihn mit unseren Worten bombardieren, dass er dann manchmal denkt: Mensch, jetzt sei doch mal endlich einen Augenblick still und rede nicht immer drauf los, ich möchte dir doch auch etwas sagen. Du bist dauernd am Reden! Wie soll ich dir meine Gedanken und meine Empfindungen mitteilen können? Übrigens brauchen wir ja auch nicht die ganze Zeit, die wir zusammen sind, miteinander reden. Mich freut’s schon, wenn ich mit dir zusammensein darf.

 

Ich glaube, das ist genau das Anliegen der Meditation, wie sie heute von vielen Menschen praktiziert wird.

 

Das eigene Leben erzählen

 

Eine andere wertvolle Möglichkeit des Gebets ist das so genannte Erzählgebet. Man versteht darunter, dass man mit eigenen Worten Gott sagt, was einen bewegt, dass man versucht mit ihm über sein Leben zu plaudern. Erzählen Sie Gott, was Sie an Glück, Freude, an Leid oder schwierigen Dingen bewegt.

 

Ich habe festgestellt, dass man diese Art zu beten sehr gut mit kleinen Kindern üben kann. Wenn man kleine Kinder abends zu Bett bringt, kann man sehr gut mit ihnen noch über das sprechen, was an diesem Tag gewesen ist. Zum Beispiel: „Was haben wir heute gemacht? Heute morgen warst du im Kindergarten, und da war es sehr schön. Lieber Gott, wir danken dir dafür, dass es heute im Kindergarten so schön war.“ Man kann dieses und jenes mit dem Kind besprechen, was schön war. Ebenso auch das, was nicht gut war und danach Gott um Vergebung bitten.

 

Genauso können auch Erwachsene lernen, persönlich zu beten. Wenn wir Gott betend von unserem Leben erzählen, geben wir ihm dadurch zu erkennen, dass er uns etwas bedeutet, dass wir ihn an unserem Leben teilhaben lassen, dass wir ihn lieb haben und dass wir ihm und seiner Liebe vertrauen. Sie dürfen mit Gott wirklich über alles reden, was Ihr Leben angeht.

 

Kurze Gedanken an Gott

 

Man kann aber nicht nur mit Gott in Kontakt sein, wenn man sich ausdrücklich zum Gebet zurückzieht. Es kann sehr wertvoll und hilfreich sein, wenn man bei vielen kleinen Gelegenheiten des Alltags den Kontakt mit Gott immer wieder aufnimmt. Man kann Dinge, die im Alltag vorkommen, kurz mit ihm besprechen, mit ihm darüber reden, zu ihm beten.

 

Wenn ich ein wichtiges Gespräch habe und dabei einem Menschen echt entsprechen möchte, dann denke ich zu Beginn des Gespräches kurz an Gott und bitte ihn: Hilf mir, dass ich die richtigen Worte finde. Der heilige Claret erzählt in seiner Lebensbeschreibung, er habe im Beichtstuhl zwischen zwei Beichten Gott gebeten, er solle ihm helfen, dem nächsten, der zum Beichten kam, gerecht zu werden.

 

Sie begegnen irgendeinem leidenden, einem pflegebedürftigen Menschen, einem Menschen, der traurig ist: Empfehlen Sie ihn mit einem persönlichen, stillen Wort der Liebe des Vatergottes. Wenn mir auf der Straße ein Rettungswagen mit Blaulicht und Martinshorn entgegenkommt, dann bete ich für den Menschen, der hier Hilfe braucht.

 

Feste Gebetstexte als Hilfe

 

Selbstverständlich dürfen Sie auch feste Gebetstexte verwenden. Man ist nicht immer in der Lage, mit eigenen Worten das auszudrücken, was man Gott sagen möchte. Da können Gebete in einem Gebetbuch oder Gebete, die man auswendig kann, eine echte Hilfe sein. Unser Gotteslob bietet dazu eine reiche Auswahl. Gute Gebetbücher eignen sich auch als Geschenke zu vielen Gelegenheiten.

 

Tägliche Gebete neu lernen

 

Der Brauch, zu bestimmten Zeiten des Tages (etwa am Morgen, am Abend, bei Tisch oder auch, wenn die Glocke zum „Engel des Herrn“ läutet) zu beten, ist sehr alt. Er geht auf die Gebetsgewohnheiten der Juden zurück. Ich finde ihn sehr wertvoll.

 

Dass so wie früher morgens und abends die ganze Familie zusammen betet, das ist heute oft nicht mehr durchführbar. Trotzdem können wir morgens und abends die Gemeinschaft mit Gott aufnehmen durch einen kurzen Gedanken. Wenigstens möglich ist doch ein andächtig gemachtes Kreuzzeichen beim Aufstehen mit der Bitte: Herr hilf mir, dass ich’s heute so mache, wie du es dir vorstellst. So etwas sollte keinen Tag fehlen. Das ist eine Sache des Herzens und der Aufmerksamkeit, nicht der Zeit.

 

Gebet in der Familie

 

Auch das gemeinsame Gebet in der Familie, sowohl das Gebet der Ehepartner miteinander als auch das Gebet der Eltern mit den Kindern, möchte ich ausdrücklich empfehlen. Vielleicht ist es möglich, in der Advents- oder Fastenzeit wenigstens einmal einen gemeinsamen Gebetsabend in der Familie zu halten. Bei Familienfesten könnte mit dem Feiern auch gleichzeitig ein kurzes gemeinsames Gebet verbunden werden.

 

Die Familie ist manchmal die ganze Woche über auseinander gerissen. Aber vielleicht gelingt es doch am Sonntag wenigstens, ein schönes Tischgebet miteinander zu sprechen, wobei ich empfehlen möchte, dass dabei abwechselnd auch die Kinder das Gebet vorbeten dürfen.

 

Es muss ja nicht immer nur die Mutter sein, die in der Familie vorbetet. Es ist schön, wenn sie das tut, oder in manchen Familien auch der Vater. Wichtig ist in jedem Falle‚ dass die Kinder mit in das Gebet miteinbezogen werden.

 

Besondere Gelegenheiten, wo man auch in der Familie ein gemeinsames Gebet versuchen könnte, wäre zum Beispiel am Hochzeitstag, am Geburtstag, am Namenstag oder bei Sterbefällen. Versuchen Sie, solche Gelegenheiten, wo sich das anbietet und wo das hilft, wahrzunehmen.

 

Wie man betet, so lebt man

 

Ich möchte schließen mit den Worten eines großen Mannes, des Bischofs Sailer. Er rief einmal seine Gläubigen zum Gebet auf und sagte ihnen: „Wie man betet, so lebt man, und wer gut zu beten weiß, der weiß auch, gut zu leben.“

 

Ich habe diese Worte zum ersten Mal als Bub von sieben Jahren bei meiner Firmung gehört. Sie sind mir haften geblieben: „Wie man betet, so lebt man.“ Ich denke, wer sich bemüht, recht zu beten, der wird im Gebet Kraft finden. Die heutigen veränderten Zeitumstände spielen dabei keine Rolle. Hauptsache ist, dass man regelmäßig Kontakt zu Gott sucht. Dabei wird man dann immer wieder für sein Leben die Nähe und Hilfe Gottes erfahren.

 

P. Lorenz Reifenberger CMF